Neun Schlaglichter auf die Geschichte des Dorfes Urphar


Besiedlung seit 5000 Jahren

Das Dorf Urphar liegt in einem Raum, in dem sich Siedlungsspuren aus mehr als fünf Jahrtausenden finden lassen. Im Bereich der „Wettenburg“ in der Mainschleife, gegenüber dem Dorf auf der anderen Mainseite gelegen, haben bereits in der Jungsteinzeit Menschen gelebt. Insbesondere die Bezeichnungen von Gewässern gehen auf die Sprache der Kelten zurück, die in diesem Raum ab 1000 v. Chr. lebten, so etwa die Namen der Flüsse Tauber und Main. Der Main ist für die Entwicklung von Urphar wichtig. Er war Transportweg, und eine Furt ermöglichte hier die Flussüberquerung. Urphar (Urfar/Urvar) bedeutet Überfahrt.


Ersterwähnung im Jahre 775

Urphar wird in einer 775 datierten Urkunde erstmalig erwähnt. Diese Erwähnung steht im Zusammenhang mit dem nahe gelegenen Kloster Holzkirchen, das im Jahre 768 vom fränkischen Gaugrafen Throand(us) gegründet wurde. Dessen Sohn schenkte 775 dieses Kloster Karl dem Großen, der es der Reichsabtei Fulda übertrug. Zum in der Schenkungsurkunde aufgeführten Besitz des Klosters gehörten unter anderem auch Güter in „Urfare“. Diese werden freilich nicht näher definiert. Die Schenkungsurkunde ist nur in einer Abschrift überliefert, im Codex Eberhardi. Dabei handelt es sich um eine Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene Sammlung von Rechtstiteln und Besitzurkunden der Reichsabtei, die vermutlich bezweckte, Ansprüche auf mittlerweile verlorengegangenen Besitz zu begründen. Deswegen ist der Quellenwert umstritten. Es ist aber davon auszugehen, dass am Ende des 8. Jahrhunderts in Urphar feste Besiedlungsstrukturen vorhanden waren, die weiter zurückreichen als 775.


Die Kirche als ältestes Gebäude

Die Urpharer Kirche thront über der Mainschleife. Sie wurde als Wehrkirche angelegt und ist von einer Mauer umgeben. Elemente des heutigen Chorturms stammen aus dem 10. Jahrhundert, darunter befinden sich nicht näher untersuchte Reste eines Vorgängerbaus. Um 1200 wurde der Chorturm neu ausgeführt und um eine Apsis ergänzt. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde ein in zwei Bauabschnitten errichtetes Langhaus angebaut und wieder hundert Jahre später der Turm erhöht. Die sich darin befindenden zwei Glocken wurden 1297 und 1400 angeschafft (wobei die jüngere wegen eines Schadens 1949 neu gegossen werden musste). Den architektonischen Abschluss der Kirche bildet die 1497 vollendete Beichtkapelle, die heute als Sakristei dient. Dieses rein mittelalterliche Bauwerk ist für eine Dorfkirche vergleichsweise groß und reich ausgestattet, etwa mit Wandmalereien aus dem frühen 14. Jahrhundert, die bei einer umfassenden Renovierung in den 1950er Jahren wieder freigelegt wurden. Die reiche Ausstattung ist nicht nur auf Stiftungen des Deutschen Ordens und des nahen Klosters Bronnbach, sondern auch auf Ablassbriefe zurückzuführen. Sie wurden nicht zuletzt von Pilgern auf dem Weg nach Santiago de Compostela erworben.


Die Urpharer als Untertanen der Grafen von Wertheim

Die Reichsgrafen von Wertheim konnten ihre Herrschaft vom 12. bis zum 15. Jahrhundert stetig ausbauen und konsolidieren. Danach gerieten sie in eine dynastische Krise: 1556 starb mit Michael III. der letzte Graf von Wertheim. Nach einem komplizierten Übergangsprozess konnte Graf Ludwig III. von Löwenstein(-Wertheim) zu Beginn des 17. Jahrhunderts schließlich einen großen Teil ihres Erbes für sich sichern und eine neue Dynastie begründen. Fast die Hälfte der Grafschaft Wertheim, die aus Würzburger Lehen bestand, ging jedoch nach kriegerischen Auseinandersetzungen, der sogenannten Wertheimer Fehde, an den Fürstbischof von Würzburg verloren.
Bis ins 15. Jahrhundert mussten die Grafen von Wertheim auch in Urphar ihre Herrschaftsrechte gegen konkurrierende Herrschaftsträger behaupten. Es waren vor allem der Fürstbischof von Würzburg und der Deutsche Orden, die bis dahin über Grundbesitz verfügten und auch Untertanen in Urphar besteuerten (vor allen über Zehntrechte). Aber auch die Klöster Bronnbach und Triefenstein verfügten über Grundbesitz im Dorf. Die Diözesanrechte der Würzburger Bischöfe wurden Mitte des 16. Jahrhunderts in Urphar irrelevant.


Urphar als evangelisches Dorf

Graf Georg II. von Wertheim war ein früher und überzeugter Anhänger Luthers. Er leitete einen mehrere Jahrzehnte dauernden Reformationsprozess in seiner Grafschaft ein. Bereits 1522 setzte er lutherische Prediger an der Wertheimer Stiftskirche ein und ließ an einer eigenen Kirchenordnung arbeiten und alle Kirchengüter erfassen. Während der Vormundschaftsregierung nach seinem Tod 1531 wurde diese Politik fortgesetzt, etwa durch die sukzessive Auflösung des Wertheimer Stifts (bis zum Tod des letzten altgläubigen Stiftsherrn) und die Umwidmung des Stiftskapitals. Erst in den 1550er Jahren wurden die Klöster in der Grafschaft aufgelöst. Bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 war die Einführung der Reformation für mindermächtige Reichsstände, wie die Grafen von Wertheim ein heikler Schritt, stellten sie sich doch offen gegen Kaiser und Reichsverfassung. Altgläubige und reformatorische Praktiken bestanden deswegen lange nebeneinander. Eine umfängliche Wertheimer Kirchenordnung wurde erst 1556 erstellt. Sie galt parallel zur 1563 eingeführten pfalz-zweibrückischen Kirchenordnung.
Über die Einführung der Reformation in Urphar besitzen wir keine Quellen. Schon gar nicht wissen wir, was die Bewohner des Dorfes im 16. Jahrhundert geglaubt haben. Als der Fürstbischof von Würzburg im Rahmen der Wertheimer Fehde nahe gelegene Orte wie Marktheidenfeld in Besitz nahm, war das mit gegenreformatorischen Maßnahmen verbunden. Das mag die lutherische Prägung bei Wertheim verbliebener Dörfer verstärkt haben. Die lutherische Konfessionalisierung kann jedenfalls auch in Urphar erst um 1600 als gesichert gelten. Mit der Umgestaltung der Kirche für den lutherischen Gottesdienst wurde folglich erst spät begonnen. 1575 wurde die noch heute verwendete Kanzel aufgestellt. In mehreren Schritten wurden danach Emporen errichtet und ohne Rücksicht auf die mittelalterlichen Malereien Fenster eingebrochen. Diese benötigte man, um im Gesangbuch lesen zu können. Die Emporen mussten auch die Christinnen und Christen der Nachbardörfer Bettingen und Lindelbach aufnehmen, mit denen man sich seit dieser Zeit den Pfarrer (mit Sitz in Bettingen) teilte.
Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert haben auch jüdische Familien in Urphar gelebt.


Urphar an der nördlichen Grenze des Großherzogtums Baden

Mit dem Untergang des Alten Reiches im Jahre 1806 verloren die Grafen von Wertheim ihre Stellung als Landesherren, ihre Grafschaft wurde aufgeteilt. Seither verläuft in der Mitte des Mains eine Grenze. Das Gebiet auf der anderen Flussseite gegenüber des Dorfes wurde bayerisch. Der Herrschaftswechsel brachte eine Menge Veränderungen für das Dorf: Militärdienst für Männer, neue Steuern und Abgaben, eine neue Kirchenordnung. Sichtbares und ganz typisches Zeichen der badischen Staatlichkeit im Dorf ist das in den Jahren 1839 und 1840 aus rotem Sandstein errichtete kombinierte Schul- und Rathaus. Die Kriegerdenkmäler an der Kirche verweisen auf die Urpharer Opfer der Kriege von 1870/71, 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Seit 1952 gehört Urphar zum Bundesland-Baden-Württemberg.


Leben und arbeiten in Urphar

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert lebten in Urphar konstant etwas mehr als 300 Menschen. 1905 waren es 396, 1920 verringerte sich die Zahl auf 361. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Bevölkerung stark an. 2022 lebten 576 Menschen in dem Dorf. Sie haben sich seit dem 19. Jahrhundert auch in Vereinen organisiert, von den einige bis heute fortbestehen, wie etwa die 1873 gegründete Feuerwehr, der 1921 gegründete Sportverein SSV Mainperle oder die 1955 entstandene Ortsgruppe der DLRG.
Jahrhundertelang war die Landwirtschaft zentral, nicht zuletzt auch die Viehhaltung. Der Weinbau verlor im 19. Jahrhundert an Bedeutung, die jedoch der Obstbau seither gewann. Es waren lange Zeit viele Handwerksberufe vertreten. Auch der Weinhandel erscheint nennenswert. Der heute nicht mehr vorhandene Mainhafen diente unter anderem zur Verladung des in der Nähe gewonnen Sandsteins. Zudem wurde auf dem Main gefischt. Es gab eine Mühle, zwei Gasthäuser und eine Poststation. Die herrschaftliche Mühle gelangte im 19. Jahrhundert in Privatbesitz. Ihr Betrieb wurde gegen Ende des Jahrhunderts auf Dampfmaschinen umgestellt, die ab 1903 auch der Elektrizitätserzeugung dienten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist von dieser sehr auf den Ort bezogenen Wirtschaftsstruktur kaum mehr etwas übriggeblieben.


Urphar als Ortschaft der Großen Kreisstadt Wertheim

Zum 1. Januar 1972 wurde Urphar eingemeindet und gehört seither zur Stadt Wertheim. Die Stadt mit ihren insgesamt rund 23.000 Einwohnern besitzt Mittelstadtfunktion für die benachbarten, zum Teil auch in Bayern gelegenen Nachbargemeinden, und zwar als Industriestandort, als Einkaufsstadt, für die medizinische Versorgung sowie als Schulstandort. Allein die Werkrealschule Urphar/Lindelbach ist aufgrund einer Klausel des Eingemeindungsvertrages auf der Gemarkung des Dorfes verblieben und bildet einen Teil der Wertheimer Schullandschaft. Mobilität gehört deswegen für viele Urpharerinnen und Upharer heute zum Alltag. Von Vorteil ist die nur drei Kilometer entfernte Bundesautobahn 3 (A3), die in diesem Abschnitt 1961 fertiggestellt wurde.


Urphar in der Geschichtsschreibung

Die Geschichte des Dorfes Urphar hat der im Ort aufgewachsene, dann in Karlsruhe lebende Gustav Rommel (1876–1957) zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht. Er war bei der Eisenbahn beschäftigt. Seine Arbeiten zur badischen Landesgeschichte basieren auf intensiven Archivforschungen. Seine Unterlagen und seine Bibliothek sind leider bei einem Bombentreffer gegen Ende des Zweiten Weltkriegs verlorengegangen. Die Geschichte des Dorfes Urphar im späten 19., aber vor allem im gesamten 20. Jahrhundert ist noch nicht näher aufgearbeitet und erforscht worden.
Literatur: Gustav Rommel: Urphar am Main. Ein Beitrag zur Geschichte und Kulturgeschichte der ehemaligen Grafschaft Wertheim, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Alt-Wertheim 1922, S. 90–124, Jahrbuch des Historischen Vereins Alt-Wertheim 1923, S. 60–134, Jahrbuch des Historischen Vereins Alt-Wertheim 1924, S. 61–158.

Zusammengestellt von Dr. Frank Kleinehagenbrock, Urphar